Zum Fund in Kohlhunden
Das Allgäu zählt im Vergleich zu anderen Regionen Schwabens zu den eher licht besiedelten Landschaften in der Vor- und Frühgeschichte. Groß war deshalb die Spannung, als beim Bau der Umgehungsstraße des Weilers Kohlhunden bei Marktoberdorf aufmerksame Anwohner Mauerreste und Ziegel in der abgeschobenen Trasse der neuen Staatstraße 2008 fanden. Im Januar 2002 schalteten sie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ein. Dank der verständnisvollen Zusammenarbeit mit dem Straßenbauamt Kempten konnte daraufhin die 25 bis 35 Meter breite, damals bereits abgeschobene Trasse noch einmal vorsichtig maschinell abgezogen und mehrere Monate lang untersucht werden.
Die Fundstelle liegt auf bzw. um eine Moränenkuppe westlich oberhalb des markanten Toteislochs, das heute unter dem Namen Kuhstallweiher als Badesee dient. Im kiesigen Geschiebelehm der Trasse zeichneten sich nach dem Oberflächenabtrag durch den Bagger sieben römische Gebäude ab, drei weitere konnten im geomagnetischen Verfahren erfasst werden. Sie konzentrierten sich auf einen Trassenabschnitt von 170 m Länge in nordsüdlicher Richtung und umfassten eine Fläche von knapp 7000 m². Alle Gebäude waren nach Südwesten orientiert. Nach Streulage und Bautypus gehören sie zu einem Gutshof (villa rustica), der nach außen offenbar nicht von einer Umfassungsmauer eingefriedet war. Einzelsiedlungen dieser Art wurden von bäuerlichen Familien betrieben. Sie sind auch im Allgäu in einiger Zahl bekannt, obwohl ihre Dichte weit hinter der des Limeshinterlands nördlich der Donau zurücksteht.
Das Wohnhaus des Eigentümers oder Pächters lag zentral auf der Geländekuppe. Größe und Ausstattung entsprachen dem üblichen Wohlstand. 40 Meter westlich des Haupthauses lag das kleine Familienbad, das als Standard antiker Hygiene und obligatorischer Bestandteil bäuerlicher Wohnkultur auf keinem Gutshof fehlte. Das nur 9 x 13 Meter große, mehrperiodige Gebäude, dessen Fundamentreste jetzt durch den Schutzbau gesichert werden, besaß alle Funktionsräume und Einrichtungen jener Thermen, wie sie der Römer aus den Provinzstädten kannte. Die einzelnen Räume sind ebenso noch gut erkennbar wie die verwendete Heiztechnik. Auch ein antikes Mühlespiel zur Unterhaltung der Badenden wurde gefunden.
Von insgesamt acht um das Haupthaus gruppierten Wirtschaftsgebäuden konnten vier im Bereich der Straßentrasse genauer untersucht werden. Und unweit des Fußes des Moränenhügels wurde ein Steinbrunnen gefunden, aus dessen Schlamm der Brunnensohle einige zum Teil bearbeitete Holzobjekte geborgen wurden, von denen der Wacholdergriff eines Flechtkorbes hervorzuheben ist.
Der Hof wurde vermutlich erst in der Mitte des zweiten Jahrhunderts erbaut und bereits nach drei oder vier Generationen Mitte des 3. Jahrhunderts wieder aufgegeben, ohne dass Spuren einer Zerstörung gefunden worden wären. Aus den letzten Jahren der Siedlung stammt jedoch noch ein bemerkenswertes Opferdepot mit einem reichen Ensemble an Terra-sigillata-Gefäßen * mit Weihe-Inschriften, aus dem obergermanischen Manufakturzentrum Tabernae-Rheinzabern am Rhein.
Die Ritzinschriften auf dem Bauch einiger Kugelbecher nennen Opfernde und Gottheiten.  Sie sind durch ihre Abkürzungen nicht einfach entzifferbar, eindeutig liest man aber von einem “numen”, dem Willen der Gottheit und von einem “votum”, einem Gelübde, das eingelöst wurde. Ausserdem findet sich der wohl älteste überlieferte Ortsname “Cenabio”. Es handelte sich hier also um rituelle Gaben an die Götter, gestiftet entweder als Vorleistung für erwartete Wohltaten, oder sie waren Teil eines gemeinsamen Kultmahls, bei dem die “anwesenden Götter” als Ausdruck der Gastfreundschaft mit Weihrauch, Wein, Milch und Honiggetränken bewirtet wurden. Mit der Zeremonie verbunden war auch das Blutopfer eines Schafes bzw. einer Ziege und eines Schweins; Reste der verbrannten Spareribs und des Schaf- oder Ziegenbratens wurden in einer Reibschüssel gefunden.
Nach Aussage der Archäologen stellen die Funde hier in Kohlhunden die größte bisher bekannte römische Villa-Rustica-Anlage im ganzen Allgäuer Raum dar. Die Anlage ist siedlungsgeschichtlich wie auch wegen des reichhaltigen Gefäßfunds  außerordentlich interessant – weniger wegen seiner ungewöhnlich guten Erhaltung, sondern weil er einen Zeitausschnitt am Beginn des 3. Jahrhunderts widerspiegelt, der selten so geschlossen im archäologischen Fundbild hervortritt.
* Die Originale dieser wertvollen Terra-sigillata-Gefäße befinden sich auf Wanderausstellungen, Replikas können jedoch vor Ort bewundert werden.
Dieses Vorhaben wurde von der Europäischen Union (EAGLF) und dem Freistaat Bayern, im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative LEADER+ gefördert (siehe Leader Online “Le-On” LAG Ostallgäu)
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